19.07.2021 // Die Unwetter in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen in der vergangenen Woche hatten ein bei uns bisher unvorstellbares Ausmaß. Ausgelöst durch heftige Niederschläge von örtlich bis zu 200 Liter pro Quadratmeter wurden beschauliche Bäche und Flüsse binnen weniger Stunden zu reißenden Strömen. Allein die Schäden durch das Wasser selbst sind schon immens. Doch wo das Wasser abgelaufen ist, zeigen sich weitere Schäden durch tonnenweise zurückbleibenden Schlamm, Heizöl oder durch umhertreibende Fahrzeuge oder Bäume.
Neben tausenden Privathaushalten sind auch zahlreiche Weingüter, besonders im Ahrtal, von den Unwetterschäden stark betroffen. Diejenigen, die nicht direkt um ihre Existenz fürchten müssen, sehen sich einem monate- oder jahrelangen Wiederaufbau entgegen.
Winzer in den betroffenen Regionen selbst fragen sich jetzt sicher, ob ihre Versicherung den an ihrem Weingut entstandenen Schaden bezahlt. Winzer in anderen Anbaugebieten fragen sich vielleicht, ob ihre bestehende Versicherung einen solchen Schaden bezahlt hätte oder was sie tun müssen, um zukünftig vor Schäden durch Naturgefahren gut abgesichert zu sein.
Dieser Artikel soll allen Interessierten aus der Weinbranche – Winzern, Weingütern, Genossenschaften, Rebschulen – helfen, sich einen umfassenden Überblick über die Versicherung gegen Naturgefahren zu verschaffen.
Was sind überhaupt Naturgefahren/Elementargefahren?
Naturgefahren sind diejenigen Gefahren, die von der Natur ausgehen. Dazu gehören neben den klassischen Naturgefahren Sturm und Hagel auch die folgenden (erweiterten Elementar-)Gefahren, die je nach Versicherer und Versicherungsbedingungen teilweise zusammengefasst werden:
- Überschwemmung ist die Überflutung des Grund und Bodens des Versicherungsgrundstücks mit erheblichen Mengen von Oberflächenwasser durch a) die Ausuferung von oberirdischen (stehenden oder fließenden) Gewässern, b) Witterungsniederschläge [= Starkregen], c) Austritt von Grundwasser an die Erdoberfläche infolge von a) oder b).
- Rückstau liegt vor, wenn Wasser durch Ausuferung von oberirdischen (stehenden oder fließenden) Gewässern oder durch Witterungsniederschläge bestimmungswidrig aus den gebäudeeigenen Ableitungsrohren oder damit verbundenen Einrichtungen in das Gebäude eindringt.
- Erdfall ist ein naturbedingter Einsturz des Erdbodens über natürlichen Hohlräumen.
- Erdrutsch ist ein naturbedingtes Abrutschen oder Abstürzen von Erd- oder Gesteinsmassen.
- Schneedruck ist die Wirkung des Gewichts von Schnee- oder Eismassen.
- Lawinen sind an Berghängen niedergehende Schnee- oder Eismassen einschließlich der bei ihrem Abgang verursachten Druckwelle.
- Vulkanausbruch ist eine plötzliche Druckentladung beim Aufreißen der Erdkruste, verbunden mit Lavaergüssen, Asche-Eruptionen oder dem Austritt von sonstigen Materialien und Gasen.
Alle Definitionen sind beispielhaft den BEG 2008 der Inter Allgemeine Versicherung AG entnommen.
Ist eine Elementarversicherung üblich? Welche Vorteile bietet sie?
In ganz Deutschland sind etwa 45% aller Wohngebäude gegen Elementarschäden versichert. Der Anteil variiert jedoch teilweise erheblich je nach Bundesland. Während in Baden-Württemberg aufgrund einer früheren Versicherungspflicht etwa 94% aller Wohngebäude gegen Elementarschäden versichert sind, sind es in Rheinland-Pfalz nur etwa 35% (Zahlen aus 2019, Statista). Bei den Betriebsgebäudeversicherungen und anderen Versicherungen dürfte der Anteil sogar noch geringer sein.
Angesichts immer häufiger auftretender Unwetter und immer größerer Schäden ist eine Versicherung gegen Naturgefahren für jedes Weingut unerlässlich.
Im Gegensatz zu staatlichen Hilfsprogrammen und Spenden bietet die eigene Versicherung folgende Vorteile:
- Vollständiger Ersatz des entstandenen Schadens,
- Übernahme aller relevanten Kosten (Sicherung, Aufräumung, Entsorgung etc.),
- Schnelle Hilfe durch Vorschüsse,
- Unabhängigkeit von politischen Entscheidungen,
- Echte Sicherheit.
Habe ich mein Weingut gegen Naturgefahren versichert?
Um den Versicherungsschutz für ein Weingut überprüfen zu können, sollte man den Unterschied zwischen versichertem Risiko und versicherter Gefahr kennen.
Ein versichertes Risiko ist diejenige Sache, die versichert werden soll. So sind zum Beispiel bei einer Gebäudeversicherung das Weingut samt Nebengebäuden die versicherten Risiken, bei einer Ernteversicherung hingegen sind die Weinberge die versicherten Risiken.
Die versicherten Gefahren hingegen sind diejenigen Gefahren, gegen die das versicherte Risiko versichert werden soll. Beispiel: Ein Betriebsgebäude (= versichertes Risiko) kann gegen die Gefahren Feuer, Sturm/Hagel, Leitungswasser und Naturgefahren versichert werden.
Um zu überprüfen, ob das eigene Weingut gegen Überschwemmung, Starkregen etc. versichert ist, sollte man sich nach und nach jeden Versicherungsschein (Gebäudeversicherung, Inhaltsversicherung, Betriebsunterbrechungsversicherung etc.) zur Hand nehmen und überprüfen, ob bei den versicherten Gefahren die erweiterten Elementargefahren aufgeführt sind. Anschließend sollte man unbedingt den genauen Umfang der Elementarversicherung prüfen, also ob dort nur Starkregen versichert ist oder auch Rückstau und Überschwemmung. Um einen zuverlässigen Versicherungsschutz ohne Lücken zu haben, sollten unbedingt alle Naturgefahren versichert sein.
Da die Prüfung von Versicherungsverträgen nicht trivial ist, sollten Sie hierfür einen Spezialisten beauftragen.
Welche Versicherungen sind am wichtigsten?
Eine pauschale Antwort hierauf ist nicht möglich, da jede Winzerfamilie und jedes Weingut andere Voraussetzungen mitbringt.
Grundsätzlich lässt sich jedoch sagen, dass zuallererst die existenzbedrohenden Risiken umfassend versichert werden sollten, bevor geringere Risiken versichert werden. Was heißt das konkret?
In unserer täglichen Praxis sehen wir regelmäßig Betriebe, die 8.000, 10.000 oder gar 15.000 Euro pro Jahr für eine Hagel- und Frostversicherung ausgeben, ihr Betriebsgebäude aber zum Beispiel für 900 Euro pro Jahr nur gegen Feuer versichert haben.
Hier lohnt es sich, die größtmöglichen Schäden zueinander ins Verhältnis zu setzen:
- Betrieb mit 15ha Rebfläche erleidet einen großen Frostschaden, die gesamte Ernte fällt aus. Schadenhöhe 15ha x 12.500 Euro/Hektar = 187.500 Euro.
- Bei dem gleichen Betrieb kommt es zu einer Überschwemmung, das Betriebsgebäude mit angrenzendem Wohngebäude ist ein Totalschaden und muss abgerissen werden. Schadenhöhe 1.400.000 Euro.
Während der Ernteausfall wahrscheinlich noch kompensiert werden kann, wird der Totalschaden an den nicht versicherten Gebäuden den Winzer wahrscheinlich in die Insolvenz treiben.
Was kostet eine Elementarversicherung für mein Weingut?
Die Kosten für den Einschluss der Naturgefahren sind sehr überschaubar. Auch wenn die Beiträge nach den schweren Unwettern im Juli 2021 merklich steigen werden, bleibt die teuerste Versicherung diejenige, die man nicht hat.
In der Gebäudeversicherung beträgt der Aufpreis aktuell etwa 20% des Beitrages. Beispiel:
- Bisheriger Beitrag für Feuer, Leitungswasser, Sturm/Hagel: 1.200 Euro/Jahr,
- Neuer Beitrag inkl. erweiterter Elementargefahren: 1.440 Euro/Jahr.
In der Inhaltsversicherung beträgt der Aufpreis aktuell etwa 34% des Beitrages. Beispiel:
- Bisheriger Beitrag für Feuer, Leitungswasser, Sturm/Hagel, Einbruchdiebstahl: 1.056 Euro/Jahr,
- Neuer Beitrag inkl. erweiterter Elementargefahren: 1.413 Euro/Jahr.
Da viele Versicherungsverträge keine oder nur eine minimale Selbstbeteiligung vorsehen, kann man auf Wunsch hier noch etwas am Beitrag sparen. Weingüter sollten lieber Versicherungsverträge mit einem größeren Versicherungsumfang und dafür mit einer Selbstbeteiligung von 1.000 Euro wählen als Verträge mit geringerem Versicherungsumfang und dafür ohne Selbstbeteiligung. Im Schadenfall übernimmt man lieber die etwas höhere Selbstbeteiligung, als einen großen Schaden gar nicht versichert zu haben.
Kann sich jeder gegen Naturgefahren versichern?
Der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft (GDV) greift für die Beurteilung der Gefährdung durch eine Überschwemmung auf das sog. ZÜRS-System (Zonierungssystem für Überschwemmung, Rückstau und Starkregen) zurück. Das ZÜRS-System gibt für fast jede Adresse in Deutschland eine von vier Gefährdungsklassen (GK) aus:
- GK 4: hohe Wahrscheinlichkeit (Hochwasser einmal alle 10 Jahre oder öfter) - 0,4% der Adressen,
- GK 3: mittlere Wahrscheinlichkeit (Hochwasser einmal alle 10 bis 100 Jahre) - 1,1% der Adressen,
- GK 2: niedrige Wahrscheinlichkeit (Hochwasser einmal alle 100 bis 200 Jahre) - 6,1% der Adressen,
- GK 1: sehr niedrige Wahrscheinlichkeit (Hochwasser einmal alle 200 Jahre oder seltener) - 92,4% der Adressen.
Zusätzlich hat der GDV 2021 drei Starkregengefährdungsklassen (SGK) eingeführt:
- SGK 3: hohe Gefährdung (Gebäude liegt im Tal oder in der Nähe eines Bachs) - 11,8% der Adressen,
- SGK 2: mittlere Gefährdung (Gebäude liegt in der Ebene oder im unteren/mittleren Bereich eines Hangs, aber nicht in der Nähe eines Bachs) - 65,7% der Adressen,
- SGK 1: geringere Gefährdung (Gebäude liegt auf einer Kuppe oder am oberen Bereich eines Hangs) - 22,5% der Adressen.
Fast alle Gebäude in Deutschland können gegen Naturgefahren versichert werden. Der Versicherungsschutz ist jedoch je nach Gefährdungsklasse unterschiedlich teuer, zudem bieten die meisten Versicherer keine Elementarversicherung für GK 3 und 4 an. Unabhängig davon, in welcher Gefährdungsklasse oder Starkregengefährdungsklasse Ihr Betrieb liegt, sollten Sie die Möglichkeit einer Elementarversicherung unbedingt prüfen.
Wenn Sie von einem Versicherer oder Versicherungsvermittler die Antwort erhalten, dass für Ihre Adresse keine Elementarversicherung angeboten wird, sollten Sie einen Spezialisten konsultieren, der für Sie verschiedene Versicherer anfragen kann. In fast allen Fällen kann ein Angebot ausgehandelt werden.
Warum sollte ich meine Elementarversicherung regelmäßig überprüfen?
Vielleicht haben Sie in Ihrer Gebäude-, Inhalts- oder Betriebsunterbrechungsversicherung die erweiterten Elementargefahren eingeschlossen. Dann fragen Sie sich womöglich, ob für Sie aktuell Handlungsbedarf besteht.
Damit Sie mit Ihren Versicherungsverträgen immer auf dem aktuellen Stand sind, sollten Sie einmal jährlich eine Durchsprache mit Ihrem Versicherungsvermittler machen. Dadurch haben Sie die Möglichkeit, etwaige Veränderungen zu besprechen sowie die Aktualität Ihres Versicherungsschutzes gemeinsam zu überprüfen.
Folgende Punkte sollten dabei unter anderem besonders beachtet werden:
- Versicherungssumme: Die Versicherungssumme ist der Betrag, den Sie im Schadenfall maximal von der Versicherung ausbezahlt bekommen. Ist die Versicherungssumme zu gering bemessen (sog. Unterversicherung), bekommen Sie im Schadenfall unter Umständen nur einen Teil Ihres Schadens ersetzt. Die Versicherungssumme kann sich in der Gebäudeversicherung zum Beispiel durch Neubau/Anbau/Umbau erhöhen, in der Inhaltsversicherung durch Investitionen in neue Betriebseinrichtung (z.B. eine Abfüllanlage, hochwertige Neueinrichtung der Vinothek etc.) oder in der Betriebsunterbrechungsversicherung durch eine Umsatzsteigerung.
- Versicherte Kosten: Ein wichtiger Punkt neben der Versicherungssumme sind die versicherten Kosten. Versicherte Kosten sind solche Positionen, die nicht unmittelbar mit dem Wiederaufbau zutun haben. Hierbei geht es in der Gebäudeversicherung um Abbruch-, Aufräumungs- und Schutzkosten. Bei einem großen Schaden können sich diese Kosten schnell auf mehrere Hunderttausend Euro summieren. In aktuellen Verträgen mit guten Bedingungen sind diese Kosten bis zur Versicherungssumme mitversichert, in alten Verträgen manchmal nur bis 1% oder 10% der Versicherungssumme. Dann fehlt trotz vorhandener Versicherung richtig viel Geld.
- Versicherungsbedingungen: Besonderes Augenmerk verdienen auch die Versicherungsbedingungen, umgangssprachlich auch „das Kleingedruckte“ genannt. Durch zunehmende Transparenz und Wettbewerb zwischen den etwa 400 Versicherern in Deutschland werden die Bedingungen immer kundenfreundlicher und somit im Schadenfall günstiger. Daher sollte regelmäßig überprüft werden, ob die eigenen Versicherungsbedingungen noch zeitgemäß sind.